Vor einiger Zeit wurde ich erstmals mit der Frage konfrontiert, ob unsere Stoffe vegan seien. Wie wahrscheinlich den meisten Menschen, die sich mit dem Thema „vegan“ noch nicht im Detail auseinandergesetzt haben, kam mir als erster Gedanke: „Was bitte soll an Baumwollstoffen nicht vegan sein?“ Tja, so einfach ist es eben nicht. Viel öfter als man gemeinhin glauben würde, werden tierische Produkte in Produktionsprozessen eingesetzt, wo man sie nicht sofort vermuten würde. Gerade im Lebensmittelbereich ist dies ein wichtiges Thema für VeganerInnen, da die eingesetzten Stoffe meist nicht als Inhaltsstoffe ausgewiesen werden müssen, weil sie nur als Hilfsstoffe eingesetzt werden (wie z.b. Gelatine für die Klärung von Fruchtsäften).
Also sendete ich Anfragen an meine Lieferanten und erfuhr, dass Stoffe trotz nicht-tierischer Rohstoffe nicht zwangsweise vegan sind. Von einem unserer wichtigsten Lieferanten für GOTS- und IVN-BEST-zertifizierte Baumwoll-Webstoffe erhielt ich die Information, dass tierische Fette z.B. in der so genannten Schlichterei eingesetzt werden. Das ist jener Produktionsschritt, bei dem die Garne vor dem Weben geschmeidig und abriebfest gemacht werden. Dieser Lieferant meinte auch, dass eine endgültige und absolut zuverlässige Aussage über die Nicht-Verwendung tierischer Inhaltsstoffe praktisch nicht möglich sei:
„Die Schlichterei ist ein Bereich, den wir noch überblicken und bei dem der Aufwand sich noch soweit begrenzen lässt, dass man mit einer korrekten Antwort rechnen kann.
Alle Arbeitsschritte, die dann das fertige Gewebe betreffen sind so vielfältig und durch so viele Komponenten beeinflusst, dass wir wahrscheinlich nur ausweichende oder keine Rückantworten erhalten werden.
Unser Ausrüster (wir arbeiten mit mehreren) sind zertifiziert und müssen uns die verwendeten Rezepturen und die Namen der Farbstoffe, Hilfsmittel, Waschmittel, etc. und der einzelnen Hersteller nicht nennen.
Und eine Anfrage an unsere Ausrüster, ob sie mal netterweise alle eingesetzten Stoffe für unsere Färbungen gegenprüfen, bzw. deren Lieferanten um Mithilfe bitten, wird im Sande verlaufen. => Keiner hat dafür die nötigen Arbeitskräfte und das Geld.
Und ganz schnell ist mal eine Komponente durch eine neue ersetzt, somit wird es uferlos.“
Diese Antwort ist zwar für VeganerInnen nicht erfreulich, aber zumindest hat man hier Sicherheit.
Schwierig wird es, wenn Produzenten erklären, dass Ihre Stoffe vegan produziert werden. Kann man davon ausgehen, dass dies stimmt oder muss man fürchten, dass mangelndes Detailwissen über die genauen Produktionsabläufe bzw. unterschiedliche Auffassungen zur Definition von "vegan" zu solchen Aussagen führen?
Ein offizielles Zertifikat oder Prüfsiegel für vegane Produkte gibt es ja leider nicht. Auch das GOTS- und das IVN-BEST-Zertifikat garantieren nicht, dass keine tierischen Produkte zum Einsatz kommen. Somit bleibt den KonsumentInnen nichts übrig, als selbst zu entscheiden, welche Aussagen sie für zuverlässig halten und wo sie lieber vorsichtig sind. Und es ist natürlich auch eine Entscheidung, die von der individuellen Toleranz jedes einzelnen abhängt. Auch wenn „vegan“ zwar theoretisch relativ eindeutig definiert ist („Der Veganismus lehnt nicht nur den Verzehr von Tierkörpern, sondern überhaupt jede Nutzung von Tieren und tierischen Produkten ab.“ - http://de.wikipedia.org/wiki/Veganismus), bleibt dennoch immer ein gewisser Spielraum, den jeder anders feststeckt. Es gibt Veganer, die die Wurst aus dem sonst veganen Kartoffelgulasch entfernen und damit zufrieden sind und andere, die kein Essen zu sich nehmen würden, das in einer Pfanne zubereitet wurde, in der irgendwann schon mal Fleisch war.
Um diese individuelle Entscheidung treffen zu können, braucht man ehrliche Informationen. Nach dem aktuellen Stand meiner Recherchen würde ich auf Nachfrage nach veganen Stoffen wie folgt antworten:
1) Ich kann bei keinem unserer Stoffe mit absoluter Sicherheit garantieren, dass er vegan ist. Einige Hersteller erklärten auf Nachfrage zwar, dass die Stoffe vegan seien. Bei nochmaligen Nachhaken gesteht aber einige ein, dass es nicht möglich ist, wirklich alle der unzähligen eingesetzten Substanzen auf tierische Inhaltsstoffe zu prüfen.
2) Wir haben einige Stoffe, bei denen ich sicher weiß, dass sie nicht vegan sind, wo also die Hersteller ganz eindeutig deklarieren, dass tierische Produkte eingesetzt werden.
3) Es gibt Stoffe, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass tierische Produkte zum Einsatz kommen, geringer ist, als bei anderen. So sind z.B. gewebte Stoffe eher selten vegan, bei Strickstoffen ist es wahrscheinlicher.
Wer absolut sicher sein will, dem bleibt also – wie auch in anderen Bereichen – nur die Eigenproduktion oder persönliche Kontrolle (sofern möglich). Allen anderen kann ich diese Definition von "vegan" und den Link sehr empfehlen.
“… soweit wie möglich und praktisch durchführbar, alle Formen der Ausbeutung und Grausamkeiten an Tieren für Essen, Kleidung oder andere Zwecke zu vermeiden und darüber hinaus die Entwicklung tierfreier Alternativen zu fördern, was dem Nutzen der Tiere, Menschen und der Umwelt dienen soll.”
http://vegane-lebensweise.org/vegan-im-alltag-3/definition-des-begriffs-vegan/